„Vertrauen weitertragen – eine Perspektive für 2031“
Mir Gedanken zu dieser Überschrift zu machen, ist die für diesen Gemeindevortrag gestellte Aufgabe.
Da die zu besetzende Pfarrstelle eine Schwerpunktsetzung hat, in der es um das Erreichen der mittleren Generation geht, habe ich ein „Vision Board“ erstellt, wie ich es bei meinen Töchtern – Vertreterinnen der mittleren Generation- kennengelernt habe.
Ich habe Bilder aus dem weltweiten Netz ausgesucht die für meine Überlegungen stehen, Visionen zusammengestellt wie auf einer Tafel, einem Board.
2031, in 10 Jahren bin ich 62; mein jüngstes Kind ist dann vielleicht mit 18 aus dem Haus, die älteren über 30 oder Mitte 20.
In 10 Jahren wird es unser Landeskirchensystem wahrscheinlich noch geben, aber noch weniger wird selbstverständlich sein. Es werden Pfarrstellen freibleiben, die Attraktivität des Berufes abnehmen, die Zuständigkeit für dann 4000 Gemeindemitglieder*innen bei einer 100 % Pfarrstelle wird das pastorale Arbeiten auch verändern.
All das in einer Welt, die schon jetzt gut oder vielleicht auch nicht immer gut ohne uns Kirche funktioniert.
Das wird sicher in Großstädten mehr zu spüren sein als in den klarer umrissenen Strukturen wie hier in Selm und Bork, wo vieles noch ineinandergreift weil es Kenntnis voneinander gibt und ein hohes kommunales Interesse am kirchlichen Leben wie mir Sup. Michael Stache berichtete.
Interprofessionelle Pastoralteams werden häufig bis selbstverständlich sein in 10 Jahren und ich hoffe dass andere Berufsgruppen nicht „Lücken-Büßer“ für fehlende Pastor*innen sein werden, sondern dass wir gelernt haben Ausbildungen und Gaben gemäß in fairer Entlohnung und Ausgestaltung des Arbeitsplatzes ergänzend und verändernd miteinander zu arbeiten. Ich freue mich sehr, dass Sie hier mit dieser Zusammenarbeit im interprofessionellen Team schon begonnen haben.
„Vertrauen weitertragen“
„nicht müde werden
sondern dem Wunder leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten“
Nicht müde werden, vertrauen behalten- an die Worte der Dichterin Hilde Domin habe ich viel denken müssen in den vergangenen Monaten. Die Corona-Pandemie hat unsere brüchigen kirchlichen Strukturen weiter ausgedünnt.
Digitale Formate sind wunderbare neue Formen aber sie ersetzen Nähe nicht. Vertrauen muss man spüren , nicht nur hören und sehen. Sowohl Vertrauen zu Menschen als auch zu Gott ist Grundbedingung menschlichen Lebens.
Einen Raum schaffen, bereithalten in dem Vertrauen spürbar ist, ist unsere Aufgabe als Gemeinden. Deshalb kommen Menschen zu uns, um sich zu vergewissern dass sie sich trauen können sie selbst zu sein. . Dass sie in unserem Umgang das „Mehr“ spüren können, so habe ich es beim Presbyteriumsabend gesagt , es geht immer um das „Mehr“. „Mehr“ als in der Welt spüren, dass Gott da ist. dem Wunder die Hand hinhalten.
Wenn das funktioniert zwischen Menschen in unseren Gemeinden und in unseren kirchlichen Räumen, ist es wunder-bar. Aber eben auch anstrengend. Über Masken und in Abstand war es besonders anstrengend. Deshalb „nicht müde“ werden- das wird sicher auch in 10 Jahren noch gelten, selbst wenn wir dann hoffentlich mehr Erfahrung und mehr Gemeinsinn im Umgang mit Pandemien haben.
„dem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinhalten“ bedeutet vielleicht auch – obwohl wir um uns herum beobachten, dass Kirche besonders da attraktiv ist wo sie laut, poppig und mit großén Events und großen Gefühlen einhergeht- manchmal auch bewußt leise zu sein. Manchmal eben anders. Selbstbewußt leise.
Reformationstag haben wir gerade gefeiert , damals was Reformation sicher laut, gewaltig und auch gewaltätig. Ich bin froh dass das vorbei ist, dass auch unserer Ökumene leiser und selbstverständlicher geworden ist. Ich kenne noch die Situation ( im Münsterland) dass zum Weltgebetstag in der evangelischen Kirche wenig kamen – weil es doch noch eine Hemmschwelle für manche katholische Frauen war. Das erscheint so weit weg und das ist gut. Wir haben nur ökumenisch Kraft und Vertrauen in einer multireligiösen Welt.
„Machen sie eine typische Handwewegung“ – kennen Sie das noch? Heiteres Beruferaten?
Die Hand hinhalten leise wie einem Vogel –Gott, den Menschen die Hand hinhalten. Vielleicht ist das die typische Handbewegung für uns Chrstinnen und Christen.
„Vertrauen weitertragen“
Als ich Frau Grohnert fragte, wie denn die Idee für die Überschrift dieses Gemeindevortrages zustande gekommen ist, sagte sie: dies war das Motto für die 100 jährige Feier der Kirchengemeinde Selm und der Wunsch auszudrücken, dass es eben ein weitergetragenes Vertrauen ist: eines dass in den Generationen davor schon da war und jetzt die Gemeindearbeit bestimmt und in Zukunft bestimmen wird. Mir kam das Bild eines Flusses in den Sinn, in dem die Bewegung der Zeit zu sehen ist und auf dem die Boote der Menschen getragen werden. Weitergetragen! Die unterschiedlichen Boote mit den unterschiedlichen Menschen als Zeichen des Miteinanders im Gemeindeleben, von dem ich sehr hoffe dass es auch über 2031 hinaus bleiben wird: es ist wichtig dass wir verschieden sind. Die Energie einer Gemeinde lebt gerade nicht davon, dass alle stromlinienförmig in eine Richtung schwimmen. Bei uns ist es lebendig, manche steuern mit dem Strom , andere vielleicht auch manchmal dagegen, manche in Nähe zu anderen, andere für sich. Wir sind zusammen auf dem Fluss unterwegs, der für mich Symbol der Zeit ist. Ein Fluss verändert sich, manchmal ist es leicht und ruhig, dann wieder schwieriger und das Boot nicht so leicht zu steuern. Aber auch Schwierigkeiten sind leichter wenn wir in unserer Verschiedenheit zusammen unterwegs sind.
Unserer Kirche lebt vom Miteinander von Ehrenamt, Hauptamt und Nebenamt. Das wird so bleiben, gerade auch wenn die finanziellen Ressourcen knapper werden, sind wir auf dies Miteinander angewiesen.
Es ist unverbrüchlicher Teil unserer Kirchenordnung dass die Macht nicht im pastoralen Hauptamt liegt, sondern im Ehrenamt.
Damit es ein fröhliches, beigeistertes Treiben auf dem Vertrauensfluss sein kann, dass andere einlädt, hineinzukommen, dazuzuspringen, braucht es Ehrlichkeit, Klarheit , Anerkennung und manchmal Abgrenzung, damit keine Verletzungen geschehen für Menschen, die sich mit voller Kraft ohne finanziellen Lohn einbringen und damit zurecht kommen müssen dass der Pfarrinnenberuf oder der Diakoninnen, der Gemeindesekretariats- Küster oder Musiker Beruf neben Berufung auch manchmal schlicht Beruf ist . Weil noch eine andere Arbeitsstelle in Teilzeit da ist und/oder Familie mit kleineren Kindern . Wichtig ist mir, dass wir einander anerkennen, dass wir alle mit „ganzem Herzen, ganzer Seele und all unserer Kraft“ ( sch`ma jisrael) uns einbringen und dass uns das eint, egal auf welchem Platz und wie wir in unserem Boot auf dem Fluss weitergetragen werden.
Aufgabe von Hauptamtlichkeit ist sicher auch aufmerksam auf Ehrenamtlichkeit zu sehen, anerkennend und liebevoll, vielleicht auch manchmal schützend damit keine Überforderung geschieht.
„Vertrauen weitertragen“ stellt auch die Frage nach dem, was getragen wird. Nach dem was den Weg begleitet und ich hatte einen Rucksack vor Augen mit allem wichtigen. Ein Pilgerweg vielleicht auf dem man wir noch einmal besonders achtet auf das was uns umgibt, wo man nur das Notwendigste auf dem Rücken trägt.
Vielleicht wie diese Frau , die vor dem Wasserfall steht. Mein Lieblingswasserfall ist im Salzburger Land, der Gollinger Wasserfall. Wenn ich dort stehe und die feinen Tropfen vom hochgewirbelten Wasser spüre, die Lichtbrechung sehe, ist mir Gott ganz nah.
Bisher war Wasser für mich immer Heimat, an Lippe, Stever und Kanal großgeworden habe ich die Lebensqualität einer Stadt immer daran bemessen, ob sie an einem Fluss lag- an der Wupper , am Neckar und an der Ruhr habe ich gewohnt, jetzt an der Volme.
Erst seit diesem Juli ist mir wirklich klar dass Wasser eine gewaltige unberechenbare Kraft ist.
Wir haben in meiner jetzigen Gemeinde erlebt dass die Menschen in der Angst und dem Erschrecken über eine so existenzbedrohende Situation des Hochwassers nach der Sichtbarkeit von Kirche fragen. Wir haben Soforthilfen verteilt und der Kontakt bei der Aufnahme der Formalia war oft verbunden mit dem Erzählen von den Stunden der Überflutung und den Folgen, die andauern. Unsere Gottesdienste sind nicht voller geworden durch das Aufsuchen der Menschen in ihrer alltäglichen Not. Wir alle wissen dass Rinnsale aus den umgebenden Höhen zu reißenden, nicht mehr zu steuernden Wassermassen wurden, weil durch die Trockenheit der vergangenen Jahre Bäume entwurzelt sind und der Boden keinen Halt mehr hat. Auch der Starkregen ist ein Phänomen des Klimawandels und hat dann zu dem dramatischen Anstieg der Ahr und der Volme geführt. Wir wissen das genau, die Folgen des Klimawandels sind schon lang nicht mehr weit weg. Sie verändern jetzt unser Leben hier.
Mit diesem Wissen als Christinnen und Christen umzugehen, nach Wegen zu suchen politische Entscheidungen zu beinflussen und unser eigenes Konsumverhalten zu überprüfen ist für mich Teil des Auftrages den Gott uns mit der Schöpfungsbewahrung gegeben hat. Zu den jetzt schon existentiell-bedrohenden Fluchtursachen wird die Flucht vor Klimaschäden dazukommen- es werden nicht weniger sondern mehr Menschen versuchen durch Flucht nach Europa Ihrer Familie eine möglichst hoffnungsvolle Zukunft zu ermöglichen. Unsere diakonische Aufgabe als Gemeinde wird sicher über 2031 bleiben vor Ort Hilfen zu ermöglichen, die nicht in Abhängigkeit führen sondern selbstbewußte Teilhabe als Ziel haben. Gleichzeitig wird sich immer die Frage stellen, wie wir als Gemeinde global vernetzt sind über „vor Ort“ hinaus: welchen Partnergemeinden sind wir verbunden, welche Projekte fördern wir. All das braucht Platz in unserem getragenen Rucksack.
„eine Perspektive für 2031“
Zwei Bilder für das Wort Perspektive. Eines, weil ich nicht auslassen will, dass es Verlust und Fehlen geben wird im Blick auf 2031.
Dass wir im Miteinander unseres GemeindeLebens auch unsicher sein werden, wie neue Formen, neue Wege aussehen werden. Dass – auch mit mir- nicht alles immer wunderbar funktionieren wird, was mir als Ideen jetzt sinnvoll scheint. Dass wir müde sein werden vielleicht zwischendurch und uns gegenseitig erinnern müssen an das „dem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinhalten“, und an unseren Glaubens-Proviant im Rucksack. Mir ist dies Bild wichtig geworden:
Dem Fahrrad fehlt eigentlich ein Rad.
Räder sind wichtig, Fahräder sowieso gerade hier im auf der Grenze zum Münsterland, aber – auch da, wo ich lang gelebt habe – im Ruhrgebiet, wo Autos gefertigt wurden. Ich kenne noch die Zeit, in der es undenkbar war dass Opel nicht mehr Teil des Bochumer Lebens ist, aus den beginnenden Zafira Auslieferungen haben wir noch bewußt unseren ersten Familien wagen gekauft.
„Man muss das Rad nicht immer neu erfinden.“ Habe ich früher oft gehört, auch im Gemeindeleben . Wenn ich vielleicht zu schnell war in meinem Wunsch nach Veränderung und Neuem. Wir haben als Kirche und manchmal auch in unseren Gemeinden sehr lange dem Rad vertraut, dass schon erfunden ist und das Grundlegende unseres Glaubens wird bleiben . Immer bleiben. Die Formen müssen sich Verändern. Ich mag dies Bild sehr weil es die menschliche Angst des Verlusts dreht in eine neue Chance. Verlust und Veränderung macht uns als Menschen oft unsicher und ängstlich – auch uns Christenmenschen.
Aber hier auf diesem Bild hat die Perspektive aus dem Fehlen etwas viel Schöneres gemacht. Ein Riesenrad-Fahrrad, dessen Vorderrad am Himmel dreht . Das wünsche ich mir für unsere Kirche, unsere Gemeinden: Ein Rad am Boden, dass weiß was erprobt und gut ist und beständig bleibt und das andere nah am Himmel, der Blick offen.
Ich bin nicht so gut wenn ich den Erdboden verlasse, aber ich mag den Blick aus dem Riesenrad – noch nicht so hoch, dass nichts mehr zu erkennen ist, trotzdem genau so hoch, dass ich anders drauf schaue . Vielleicht geht es darum in der Perspektive auf 2031: Man muss das Rad nicht neu erfinden , aber man kann.
Vertrauensvoll.
Meine Gedanken kehren zum Vertrauen zurück- Vertrauen weitertragen, behalten , verschenken ist Teil des Glaubens .
Vertrauen hilft gegen Angst und Unsicherheit, schafft Sicherheit auch in Veränderungen.
Ich habe beide Kirchen Ihrer Gemeinde gesehen und war sehr gern in beiden – ich hatte den Eindruck von beiden unterschiedlichen Kirchenorten warm , hell und bunt empfangen zu werden.
Beide Kirchen sind nach außen gerichtet mit den Gemeinderäumen, einladend und offen. Sie machen es nicht schwer hineinzukommen. Jetzt gerade haben Sie an beiden Kirchen Baustellen – und ich will zum Schluss meiner Gedanken von der Kirche erzählen die mich – vielleicht gerade weil sie, als ich da war, noch viel mehr Baustelle war als jetzt, berührt hat. Die Kathedrale Sagrada Familia in Barcelona wird seit über 100 Jahren gebaut, geprägt vom Glauben und den Ideen des Künstlers Antoni Gaudi . Vielleicht ist sie 2031 wirklich fertig – ich fände es fast schade. Es ist schön immer wieder Neues wachsen zu sehen, den Veränderungen in den Plänen und der Bauweise zu folgen. Ich mochte die Kirche sehr, als sie noch ohne Dach war , offen zum Himmel . Inzwischen mit Dach , leuchten so viele unterschiedliche Farben im Innenraum durch die bunten Fenster. Ich finde viele meiner Ihnen mitgebrachten Gedanken im dieser Kirche – deshalb steht Ihr Bild am Schluss:
Gaudi hatte unbedingtes Vertrauen darin und keine Eile damit, dass alle Veränderungen und Wege das Gebäude weitertragen- zur Ehre Gottes. Dies Vertrauen ist zu spüren und großes Staunen. Die Kirche selbst birgt viele Farben und Formen und hat Platz für uns Menschen in aller Verschiedenartigkeit. Sie nimmt alte Formen auf und diese bleiben auch erkennbar und doch kommt Neues und manchmal auch Überraschendes hinzu. Es bauen Menschen an und in der Kathedrale , es kommen Menschen manchmal nur kurz dazu, lassen sich anrühren, gucken gemeinsam in die Höhe und kehren dann in ihren Alltag zurück, manche kommen regelmässig und immer wieder. All das ist für mich ein Symbol für das, was ich für unsere Kirche, unsere Gemeinden wünsche.
Vielleicht werde ich ein ganz bisschen traurig sein wenn Sagrada Familia irgendwann fertig ist , ein Punkt gesetzt.
Denn einen Punkt kann eigentlich nur Gott setzten, wir Menschen setzen höchstens ein Semikolon;
; but god- Aber Gott. Alles, was wir menschlich vermögen , planen aufschreiben und tun reicht nur bis zum Semikolon.
Und das beruhigt mich. Gott bleibt unendlicher Raum.
Und – sagt eine Kollegin und Freundin gestern, nachdem sie meine Gedanken hier gelesen: was machst Du jetzt aus all Deinen schönen Bildern, was passiert daraus?
Vielleicht „Vertrauensabende für Taufeltern“ denke ich oder eine „Lichternacht für Nachhaltigkeit“, mit dem Rucksack zu Wasserfällen und anderen besonderen Orten . Ich weiß es nicht genau, denn das wären UNSERE gemeinsamen Planungen als Gemeinde. UNSERE Träume und Verabredungen.
Die auch nur wieder zum Semikolon reichen würden, und dann ...
ist Gott dran.
Und das finde ich , ist das Beste an dem gesamten Bild.