Friede und Gnade vor Gott unserem Vater, Jesus Christus, dem Sohn und der Kraft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen
Man sieht sich immer 2x im Leben!
So könnte man den Predigttext für diesen Sonntag überschreiben.
Und der Text stellt mich… und Sie alle auch – vor eine Herausforderung.
Er steht nämlich am Ende einer langen Geschichte.
Dieses Ende erzählt von einer Verwandlung; erzählt davon, dass Gott ein neues Herz schenken kann und will; dass wir nicht über bittere Erfahrungen im Leben, verbittern müssen;
das Ende der Geschichte ist ein wunderbares Fazit, das man aber nur so richtig verstehen kann,
wenn man die ganze Lebens-Geschichte kennt: Seine ganze Tragik – von Kindesbeinen an.
Und nun komme ich mir vor, wie bei den golden Girls. Kennen Sie die noch?
Eine der ersten Sitcoms, die aus Amerika zu uns schwappte. 3 Frauen - so in meinem Alter - leben zusammen mit ihrer alten Mutter in Miami in einem Haus.
Eine davon, Rose, erzählt gerne sehr lange, ausschweifende Geschichten, die meist keine Pointe haben.
Als sie wieder einmal am Küchentisch sagt: Kinder, da fällt mir eine Geschichte ein… wird sie unterbrochen und eine der anderen sagt:
Bitte – versuche das Ende der Geschichte so nah wie möglich an den Anfang zu bringen.
Ich fühle mich also ein bisschen wie Rose.
Aber Sie helfen mir, denn Sie kennen diese Geschichte ganz bestimmt und kramen mal in Ihrem Gedächtnis nach Josef, 11. der 12 Söhne des Jakob. Er ist
- Papas Liebling (weil erster, spät geborener Sohn seiner Lieblingsfrau Rahel) zu erkennen an dem bunten Rock (heißt: keine Arbeitskleidung wie seine Brüder.
- ein Träumer…immer wieder und er ist der Held seiner Träume, was er den Brüdern auch auf die Nase bindet
- eine Petze: Ohren bei den Brüdern… Mund beim Papa
- Stellung bei seinen Brüdern: erstmal nervig…später aber regelrecht gehasst…
- Bei einer guten Gelegenheit wollen sie ihn töten, besinnen sich aber und verkaufen ihn stattdessen als Sklave an eine Karawane nach Ägypten.
(So etwas passiert nicht still – die Häme der Brüder vergisst er wohl nie.)
- Er arbeitet sich vom Sklaven zum Vertrauten und Hausvorsteher beim anerkannten Politiker Potifar hoch.
(Immer wird er beschrieben als einer, der unter dem Segen Gottes steht, der ihm gelingen lässt, was er auch tut. Sein Gott verlässt ihn nicht. Sein Glaube an ihn auch nicht. Psychologen nennen das: Einen inneren sicheren Ort haben, der einen Schicksalsschläge überleben lässt).
- Trotzdem kommt er unschuldig ins Gefängnis.
- Und immer noch heißt es, Gott ist mit ihm, obwohl er da Jahr um Jahr in diesem Loch sitzt. Josef überlebt seine fatale Geschichte.
- Seine Gabe, Träume zu deuten - auch die schrecklichen Alpträume des Pharao in die Wirklichkeit zu übersetzen und Lösungsvorschläge zur Hand zu haben -bringt ihn wieder zurück ins Leben.
Eine traumhafte Karriere beginnt.
Josef hat und kann, was wir uns von Politikern in unserem Land und in Europa so wünschen würden:
Die Träume und Visionen zusammenbringen mit wirtschaftlicher Weitsicht, Pragmatismuns, vernünftigem Kalkulieren. nd so kann er in den guten Zeiten Überschuss erwirtschaften, um für schlechte Zeiten vorbereitet zu sein. Das Gegenteil also von kurzfristiger Gewinnmaximierung.
Josefs Geschichte – die Geschichte eines Überlebenden.
Ein Leben mit einer beachtlichen Karriere. Ein mächtiger, reicher Mann ist er geworden;
eine Familie hat er gegründet. Das Land, das sein Untergang werden sollte, ist ihm ein Zuhause geworden.
Und so wird Josef zum Segen in jahrelangen Zeiten der Dürre und Hungersnot für den ganzen Nahen Osten.
Die Welt rund um Ägypten kam zu ihm, um Korn zu kaufen und durch die Weitsicht Josefs zu überleben.
Ein Überlebender weiß, wie das geht.
Man sieht sich immer 2x im Leben - seine Brüder kamen auch. Plötzlich stehen sie vor ihm.
Bedürftig, abhängig, auf ihn angewiesen… Sie erkennen ihn nicht – er sie nur zu gut.
Was muss in ihm vorgegangen sein in diesem Augenblick.
Sie, liebe LeserInnen, wissen das:
Da hat man im Laufe seines Lebens so manches weggesteckt, hinter sich gelassen.
Da hat man sich was aufgebaut und denkt, so manche alte Verbitterung unter die Füße gekriegt zu haben.
Und dann reicht ein kleiner Auslöser, eine Erinnerung, ein Geruch, ein Bild, ein frappierend ähnlicher Mensch, ein altes Foto oder auch eine Todesanzeige – und alles ist wieder da.
Die Gefühle, die Worte, die Bitterkeit, die Angst… als sei es gestern gewesen.
Man sieht sich immer 2x im Leben.
Jetzt ist Josef am Zug und er kostet das auch aus.
Die Geschichte des Wiedersehens lässt an Dramatik nichts zu wünschen übrig.
Ich kann nicht alles erzählen von diesem Krimi. Vielleicht erinnern sie sich oder lesen es einmal nach.
Josef bringt seine Brüder in verzweifelte Situationen. Er sorgt dafür, dass auch sie Todesangst empfinden…
Über Wochen und Monate und viele Reisen…zahlt er’s ihnen heim…bohrt sich in ihre Gewissen…
aber auch in sein eigenes…
Es reift in ihm nach und nach die Erkenntnis, dass Heimzahlen nichts bringt, dass Rache nichts ungeschehen macht, nicht schöner oder lebenswerter macht, keine Genugtuung bringt und vor allem: nichts heilen kann!
Versöhnungsbereit gibt er sich zu erkennen.
Viele Tränen fließen und eine große Einsicht steht über allem:
Gott hat mich euch vorausgeschickt, damit ihr überlebt. Mein Leben ist Gottes Weg für euch.
Es kommt zur Familienzusammenführung. Der alte Jakob kommt mit Hab und Gut nach Ägypten.
Josef rettet die Familie, sorgt für Zukunft.
Und dann – wenn man schon denkt: Alles ist wieder gut. Wenn man schon den Schlusssatz hört: Und wenn sie nicht gestorben sind… stirb der alte Jakob, der Vater. Wieder breit erzählt – die lange, intensive Trauer.
Erst - hier am Ende - setzt unser Predigttext ein und zeigt den brüchigen Frieden; zeigt die tief sitzende Angst bei den Brüdern, nur um des Vaters willen verschont worden zu sein. Jetzt hätte Josef freie Bahn:
„Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben. Darum ließen sie ihm sagen:
Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters!“
Ob ihre folgende Bitte um Vergebung von Herzen kommt, oder auch nur ihrer Angst geschuldet ist, lässt der Text offen:
„Aber Josef weinte, als man ihm solches sagte. Und seine Brüder gingen selbst hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. Josef aber sprach zu ihnen:
Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt?
Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.“
Diese lange Geschichte – Rose hätte ihre Freude daran gehabt - Josef und seine Brüder…gewachsener Hass und Vergeltungssucht, die aus dem Dschungel anderer Lebensgeschichten kommen, nämlich die ihrer Vorfahren…
Wir alle sind doch nicht nur einfach so da… wir ziehen auch die Spuren anderen weiter,
die Temperamente, die Gene, die Möglichkeiten und Gaben, das Unvermögen und die Fehler,
das Scheitern…
Und wir, die wir jetzt hier sitzen mit unseren Lebensgeschichten und verschlungenen Wegen, suchen, wie Josef, Orientierung und Wegweisung und Halt in den Worten und der Art Gottes…
Wir suchen im Nachhinein auch die Deutung von Gott her, einen Sinn, seine Hand in unserer Geschichte.
Unsere ‚Warums‘ zeigen das.
Da wo es schief lief, da wo es nicht gut war, bitter vielleicht, böse vielleicht, da sind wir versucht, Gott nicht darin zu vermuten; Gott nicht in den Zusammenhang des Unvollkommenen zu stellen.
Gott, wo warst du, als…???
Josef hat etwas entdecken dürfen, das sein Herz und seine Seele gesund werden ließ, ihm Heilung schenkte:
Gott ist mitten in meiner Geschichte. In der Zisterne, dem Gefängnis, dem Vermissen, den Neuanfängen…
Gott ist meine Geschichte. Gott ist mein sicherer Ort.
Und auch mit dem Allerschlimmsten hat er ein Ziel – immer dasselbe Ziel: immer das Leben.
Mein Leben. Das Leben meiner Familie.
Das Leben für Menschen über unseren familiären und nationalen Tellerrand hinaus.
„Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen,
Der bekannteste Satz aus der ganzen Josefsgeschichte ist das – allerdings ist er nicht vollständig:
Er lautet weiter:
„Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk.“
Das Ziel einer langen Lebensgeschichte:
„Um zu tun, was jetzt/heute am Tage ist, nämlich Leben zu erhalten.“
Eine trage des/der anderen Last, jetzt, heute…
Was ist heute dran in meinem Leben, in Deinem Leben, um vielleicht bittere Wegstrecken in Leben und Zukunft zu wandeln? Vielleicht ist das Lasten tragen der anderen ein Schlüssel für die eigenen?
Du bist da mit deinem ganzen Leben… mit dem, was es aus dir gemacht hat, mit dem, was du geworden bist… um zu tun, was heute dran ist:
Leben erhalten.
Mit Geld. Mit Zeit. Mit Zuhören. Mit Besuchen
Mit Vergeben, mit Barmherzigkeit, mit offenen Armen,
mit beherztem Eingreifen vielleicht,
mit dem ersten Anruf nach langer Zeit, mit dem Blick in die Zukunft…
um der Nachkommen willen mit den alten Mustern brechen:
Nicht nachtragen, sondern versöhnen. Nicht nachtragen, sondern mittragen.
Keine Schuldenrechnungen – sondern Leben erhalten/ ermöglichen!
Man sieht sich immer 2x im Leben??
Unser Gott begegnet uns zum Glück nicht nur 2 Mal im Leben, sondern immer und immer wieder – was könnte er uns nicht alles nachtragen?
Aber er begegnet dir segnend:
sein Angesicht leuchtend über dir…zwischen dir und den anderen… und er hat die feste Absicht,
es gut zu machen…
Machen wir es ihm nach.
Amen